FLOW
Die 5 Bücher meines Lebens In jeder Flow fragen wir Büchermenschen, welche Leseerlebnisse sie geprägt haben. Dieses Mal stellt STEPHANIE KRAWEHL vom Lesesaal in Hamburg ihre Herzens-Auswahl vor
Die Liebe zu Büchern liegt bei Stephanie Krawehl in der Familie. Das Haus ihrer Kindheit war randvoll mit Romanen, sie stapelten sich auf Tischen, Fußböden, Regalen. Ihr Vater kaufte vom ersten Gehalt als Lehrling gleich eine Balzac-Gesamtausgabe, die Mutter ist Belletristik-Kennerin, die Schwester liebt Krimis. Auch Stephanie hat von Kindheit an alles gelesen, was ihr in die Finger kam. „Besonders schön ist die Stille, die entsteht, wenn alle zusammensitzen und lesen“, erinnert sich die Buchhändlerin. „Und ab und zu blickt einer auf und liest den anderen eine Passage vor.“ Mit ihrem Mann und der mittlerweile erwachsenen Tochter hat sie diese Tradition fortgesetzt. Auch deshalb assoziiert die 49-Jährige mit Büchern Geborgenheit und Sicherheit. Und sie hatte kaum Sorge, als sie vor drei Jahren ihren eigenen Buchladen eröffnete. Ihre Vision: Menschen mit den Schätzen ihres Leselebens bekannt zu machen. Ihr Laden strahlt das aus. Da stehen Sonderausgaben unbekannter Autoren neben Klassikern; Bildbände über heimische Vögel neben Plastik-Wackel-Monstern. Eine persönliche Atmosphäre, eine persönliche Auswahl. Auch ihre Buchzusammenstellung zeigt eine einen liebevollen Blick fürs Detail.
Monique Truong: Das Buch vom Salz
„Über Gertrude Stein und ihre Geliebte Alice B. Toklas einen Roman zu schreiben ist an sich schon interessant, schillernd genug sind die beiden ja. Aber die US-Autorin Monique Truong geht über die Beschreibung des ausschweifenden Pariser Salon-Lebens Ende der 20er weit hinaus. Ihr geht es um das Verhältnis der Frauen zu ihrem Koch Binh, einem Vietnamesen, der ihnen exotische Gerichte kocht und dessen zurückhaltende, höfliche Art oft gar nicht zum exaltierten Leben der Damen zu passen scheint. Ich liebe das Buch, weil die drei Charaktere plastisch gezeichnet sind, echte Persönlichkeiten, die sich auseinandersetzen, sich in ihrer Unterschiedlichkeit bereichern. Eine wunderbare Begegnung. Ich mag Bücher, in denen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen sich allmählich annähern und verstehen lernen. Ganz ohne Kitsch.“
Iris Murdoch: Henry und Cato
„Knackige Konflikte, psychologisch zutiefst durchdachte Figuren und viel Spannung – die Mischung macht diesen britischen Roman aus den 70ern zu so etwas wie einem perfekten Buch. Schon die Ausgangssituation ist kniffelig. Henry, der aus England weggegangen ist, um seiner kalten Mutter und seinem übermächtigen Bruder zu entfliehen, kommt Jahre später nach dem Tod des Bruders zurück in seine Heimatstadt. Sein Plan: Schnell alles regeln und verschwinden. Doch es kommt anders. Henry erbt nicht nur den Besitz des Bruder, sondern dessen Leben. Er streitet mit der Mutter, fängt ein Verhältnis mit der Geliebten des Bruders an. Im Verlauf der Handlung wird deutlich: Hier agiert ein Mensch, der überhaupt nicht weiß, was er will. Die Zerrissenheit von Henry verwirrt zunehmend auch den Leser immer mehr. Ich mag, dass Iris Murdoch genau zeigt, wie sich ein Mensch in Widersprüche verstrickt. Denn irgendwie tun wir das ja alle – und ich finde es hilfreich zu lesen, wie andere so was lösen. Oder daran scheitern.“
Kurt Held: Die rote Zora
„Das Lieblingsbuch meiner Kindheit. Die rote Zora ist Chefin einer Kinderbande. Alle sind Waisen, müssen stehlen, schlafen in einer alten Festung, haben Ärger mit der Polizei. Doch untereinander sind die Kinder verschworen. Die Härten dieser Außenseiter-Geschichte, aber auch das mutige Auftreten von Zora haben mich als Kind beeindruckt. Ich glaube, durch die Geschichte habe ich zum ersten Mal begriffen, welche Schicksale andere Kinder verarbeiten müssen und wie unterschiedlich menschliche Wirklichkeiten sind. Wenn ein Roman das schafft, ist das großartig.“
Guy de Maupassant: Stark wie der Tod
„Die Geschichte dieses Klassikers aus dem 19. Jahrhundert ist schnell erzählt: Maupassant schreibt über die besessene Liebe eines alten Mannes zu einer jungen Frau. Ich habe das Buch mehrfach gelesen. Aber diese neue Ausgabe des Textes mit Illustrationen des Berliner Künstlers Jim Avignon finde ich besonders schön. Seine bunten, vitalen und doch traurigen Bilder passen perfekt zum Thema. Man hört ja oft den Spruch, dass man Bücher nicht nach dem Cover beurteilen soll. Aber für mich gehören Gestaltung und Haptik dazu. Ich genieße es, wenn das Buch nicht nur literarisch ein Schatz ist, sondern auch wie einer aussieht.“
Patrick Hamilton: Hangover Square
„Ich habe erst gezögert, als ich den Roman auswählte, denn er ist düster. Er spielt kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Pubs eines heruntergekommenen Londoner Stadtteils. Jeder Satz beschwört die rauchverhangene, dunkle Welt der Kneipen-Philosophen herauf. Die Hauptfigur George ist labil, tumb: Im echten Leben lässt er sich von seiner Angebeteten Netta herumkommandieren. In seiner Fantasiewelt, träumt er davon, sie umzubringen. So bedrohlich das klingt, es schwingt etwas britischer Humor mit. Und den liebe ich. Hamilton war in England seinerzeit ein Kultautor, wurde von Hitchcock verfilmt. Es lohnt, diesen vergessenen Meister wiederzuentdecken.“