In Hamburch sagt man Tschüß!

Wie die Innenstädte langsam veröden – inhabergeführter Einzelhandel wird immer seltener

Am 1. Februar 2011 öffnete ich zum ersten Mal die Tür meiner Buchhandlung Lesesaal in Hamburg-Eimsbüttel. Was war das für ein überwältigendes Gefühl! Meine Vision eines unabhängigen Sortiments mit Fokus auf unabhängigen Verlagen und guten Geschichten, verpackt in Buchkunst (das Auge kauft mit), konnte endlich umgesetzt werden. Schon 2015 wurde meine Buchhandlung zum ersten Mal zu einer der besten deutschen Buchhandlungen ausgezeichnet (vier Auszeichnungen wurden es insgesamt). Mein Konzept ging auf – auf 40 qm hatte ich den Fokus auf Belletristik und Kinder- und Jugendbuch gelegt. Besonders in diesen beiden Segmenten war ist mir ein Fest, „Trüffelschwein“ zu spielen. Schon immer war für mich auch die Backlist eine Fundgrube. Mit anderen Worten: Die Entscheidung für eine eigene Buchhandlung war wie ein Lottogewinn, jeder Tag war anders. Es folgten perlenschnurmäßig neue Ideen und großartige Begegnungen. Ja, nachhaltige Begegnungen, die bis heute bestehen, u.a. mit den wunderbaren Vertreterinnen und Vertretern, die zweimal im Jahr in den Lesesaal kamen und mich bis zum Ende unterstützt haben, mit Akteurinnen und Akteuren in der Buch- und Kulturbranche und last but not least die Stammkundinnen und Stammkunden.

Eine Nachricht aus der Hamburger Behörde für Kultur und Medien Mitte Januar 2017 änderte vieles. Ich bekam die Anfrage, ob ich mir in den neu entstehenden Stadthöfen an der Stadthausbrücke in der Hamburger Innenstadt ein dreiteiliges Konzept rund um den Erinnerungsort im Stadthaus (Gestapo-Hauptquartier von 1933-43) vorstellen könnte. Ich empfand es als Ehre und Herausforderung, mit meiner unabhängigen Buchhandlung und einem neu zu gestaltenden Café diesen Ort mit Leben zu füllen, mit Aufmerksamkeit für dieses deutschlandweit einzigartige Konzept. Am 2. Mai 2018 war es dann so weit: die Lesesaal Buchhandlung mit Café und dem Erinnerungsort öffnete an diesem Tag die Tür. Was war das für eine aufregende Zeit! 

Am 1. Februar 2022 nun „feierte“ die Lesesaal Buchhandlung ihren 11. Geburtstag zu einer Zeit, als schon klar war, dass dieser Ort so nicht weiter bestehen kann. Die Gründe sind vielfältig. Sicherlich lag dieses Ende nicht an den vier Auszeichnungen zu einer der besten deutschen Buchhandlung, dem hervorragenden Sortiment, dem großartigen Buchhändler Wolf Gierens oder der wunderbaren Social Media Managerin Roma Maria Mukherjee, die auch wirklich aussergewöhnliche Arbeit geleistet haben, um den Lesesaal voranzubringen. Das Konzept des sog. „Dreiklangs“ war deutschlandweit das Einzige seiner Art. In Hamburg hat diese Idee keine Zukunft. 

Ein Grund ist sicherlich der Standort in der Innenstadt – eine schwierige Lage, nicht nur in Hamburg, aber besonders in Hamburg. Das trifft uns und alle inhabergeführten Buchhandlungen und Einzelhandelsgeschäfte seit Jahren. Überdeutlich wird die Vernachlässigung der Innenstädte in den zwei Pandemiejahren. Überall hören wir: Wir müssen die Umsätze wieder in die Innenstädte bringen! 50 % Frequenzrückgang spricht in Hamburg eine deutliche Sprache. Die Schließung inhabergeführter Geschäfte wirkt sich negativ auf die Attraktivität der Innenstädte aus. Nicht reden, machen! Wie lange wollen die Verantwortlichen noch warten?