Steidl Nocturnes – Meisterwerke haptischer Buchkunst

Literatur macht auch im 21. Jahrhundert glücklich, ob ernsthaft oder beschwingt, Feuilletons, Radiosendungen und Bookstagram zeugen davon. Kann es wahre Buchkunst ebenfalls noch?

Der heutige Blogbeitrag dreht sich ganz ums Buch. Pardon, um drei Bücher und einen Verlag: dem Steidl Verlag aus Göttingen. Alleine die Straße des Verlagssitzes hat schon literarische Qualität: Es ist die „Düstere Straße“.

Die Geschichte des Verlagshauses ist jedoch alles andere als dunkel. Sie beginnt im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Die Keimzelle war die Siebdruckwerkstatt des Gründers Gerhard Steidl, zu dessen Kunden namhafte bildende Künstler gehörten. Politische Sachbücher, literarische Texte und Kunst- sowie Fotobände erblickten und erblicken seitdem das Licht der Welt, auf denen der Verlagsname „Steidl“ zu lesen ist.

Der Steidl Verlag hält die Rechte am Werk des Nobelpreisträgers Günter Grass, verlegt Werke deutscher und übersetzter Autorinnen und Autoren und fokussiert sich insbesondere auf die besondere Gestaltung der verlegten Werke. Dabei spielt die Auswahl der richtigen Papiersorte eine wichtige Rolle, ebenso das Leinen für den Einband und auch die Gestaltung der Einbände – beides sind für Hände und Augen ein Genuss und stellen in der Landschaft verlegter Bücher eine hochwertige Besonderheit dar. Der Verleger selbst wählt aus und diese Hingabe zum Buch spürt man auch, wenn man ein Steidl-Werk in Händen hält.

An dieser Stelle möchten wir die Reihe Steidl Nocturnes mit den drei Bänden „Der Fall Moosbrugger“ von Robert Musil, „Das Geisterschiff“ von Richard Middleton und „Tamango“ von Prosper Merimée vorstellen. Die relativ schmalen Bände (alle mit exakt 128 Seiten) haben einen festen Leineneinband, ein Lesebändchen und die gedeckten Farbtöne changieren ein wenig. Die Covergestaltung ist sowohl typographisch als auch in der bildlichen Gestaltung reduziert und künstlerisch zugleich. Beim genauen Betrachten der Bilder erkennt man sehr feine Details. Diese Zeit der Betrachtung solltet ihr euch unbedingt nehmen.

         

Der Herausgeber des Bandes „Der Fall Moosbrugger“ von Robert Musil, Andreas Nohl, ist Schriftsteller und Übersetzer. Der genannte Band enthält sowohl Auszüge aus dem unvollendeten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ als auch im Anhang einen Text von Karl Kraus aus „Die Fackel“ (Zeitschrift) von 1911 und ein Nachwort von Karl Corino, der über das Frühwerk Musils promoviert hat.

Worum geht es in „Der Fall Moosbrugger“? Es handelt sich um einen historischen Kriminalfall. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ein bereits zuvor wegen des gleichen Delikts verurteilter Mörder rückfällig und ermordete eine weitere Frau in Wien. Im unvollendeten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ gibt es Agathe, Clarisse und Ulrich, die den Mörder als unverstanden betrachten und der Meinung sind, ihm helfen zu müssen. Der Täter wird befreit, in einem Versteck untergebracht, betreut nur von einer einzelnen, weiblichen Person. Die Erzählung beleuchtet nun die weiteren Verläufe, die jeweils am Rand einer Katastrophe balancieren und vollständig zu eskalieren drohen – „Der Fall Moosbrugger“, ein wahrer Kriminalfall, der durch Musils Schreiben in den Kanon der Weltliteratur eingegangen ist.

Diesen und die beiden anderen Bände der Reihe möchten wir euch allen sehr ans Herz legen. Ihr haltet wahre Kunst in den Händen! Schaut gerne vorbei und gönnt euch einen Blick auf die Bücher. 

Roma Maria Mukherjee